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Fachartikel 3

Wie kann die Perspektive des Globalen Südens mit Hilfe von Kinderbüchern in unsere Erziehung integriert werden? Können Kinderbücher ein Weg sein, Kindern in Deutschland das Leben von Kindern im Süden näher zu bringen?

Die Rehabilitation des verzerrten Bildes vom Globalen Süden – Ein Vorschlag

Von Kafalo Sékongo, EPiZ Reutlingen

Zu den dunkelsten Kapiteln der Menschheit gehören zweifellos die Sklaverei und die Kolonialisierung einiger Völker durch andere. Auf diese Vergangenheit gehen viele aktuelle Herausforderungen, wie unter anderem die ungerechte Verteilung der Weltressourcen, die Kluft zwischen reichen und armen Ländern, die koloniale Kontinuität und der Rassismus zurück. Durch die hiesigen Medien, die Narrative und die Wortwahl wird ein befremdliches Bild der Länder und Menschen im Globalen Süden vermittelt. So werden die Kinder im Globalen Norden (GN) in eine Gesellschaft hineingeboren und sozialisiert, in der ein verzerrtes Bild der Länder des Globalen Südens (GS) vorherrscht. Dieses negative Bild wird bewusst oder unbewusst an die jüngeren Generationen weitergegeben. Ein Beispiel für Situationen, in denen ein rassistisches, abwertendes Bild von Menschen aus Afrika verbreitet und gefördert wird, ist ein Freizeitpark in Sachsen-Anhalt. Dort wird die Kongo Bongo Bahn[1], eine so genannte Afrika-Bahn eingeführt, um Kinder zu bespaßen. Allerdings entdecken die Kinder entlang der Bahnstrecke während der „Reise durch das Land der Kannibalenkuriose Szenen und hässliche Holzfiguren, welche schwarze Menschen dehumanisieren und als bloße Menschenfresser darstellen.

Das Macht- und Wohlstandsgefälle zwischen Globalem Norden und Süden, das sich seit der Kolonialzeit etabliert hat, wird heute noch durch ungerechte Strukturen der wirtschaftlichen Ausbeutung aufrechterhalten. Zu den bestehenden rassistischen Bildern werden der GS und besonders Afrika in den Medien auch als Ort der Armut, der Krankheiten, der Katastrophen und der Korruption dargestellt. Aus diesem Grund sagt Henning Mankell (1948 -2015) zu Recht: „Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben.

Nun, wie kann man dieser selektiven, einseitigen und negativen Darstellung des GS in Deutschland entgegensteuern? Könnten Kinderbücher dazu beitragen, ein besseres bzw. ein ausgeglicheneres Bild des GS zu vermitteln?

Um das negative Bild des GS und besonders das Afrikabild in Deutschland zu rehabilitieren sind flächendeckende tiefe Strukturreformen nötig. Dabei spielt die Bildung eine zentrale Rolle. Die erste Begegnung der meisten europäischen Kinder mit dem GS findet durch Kinderbücher statt. Zur frühkindlichen Entdeckung der Tierwelt gehören zwangsläufig Kinderbücher mit den big five Afrikas, Elefant, Löwe, Leopard, Büffel und Nashorn, sowie anderen exotischen Tieren: Giraffen, Nilpferde und Zebras etc. So wachsen die Kinder mit der Vorstellung auf, es gäbe überall in Afrika diese Tiere zu sehen und jede*r Afrikaner*in würde sich mit diesen Tieren gut auskennen. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich schon über 30 Jahre alt war als ich von der Elfenbeinküste nach Deutschland kam. Aber erst hier im Stuttgarter Zoo habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Giraffen und Zebras gesehen.

Außerdem ist die Vorstellung weit verbreitet, dass Afrikaner*innen gute Trommler seien, gut tanzen würden und sogar den Rhythmus im Blut hätten. Was wäre, wenn die Kinder den Tänzer, Autor und Choreografen aus der Elfenbeinküste, Alphonse Tiérou[2] gelesen hätten, welcher sagt: „Der Tanz ist keine Frage des Blutes, sondern eine Frage der Kultur. Die Afrikaner werden nicht mit einem zusätzlichen Tanz-Chromosom geboren und der Tanz ist bei ihnen nicht instinktiver als bei anderen Völkern.“ (Alphonse Tiérou: 1946-2021)

Es gibt auch Begriffe in Kinderbüchern, die nicht mehr zeitgemäß sind und die umgeschrieben werden müssen. Bücher prägen die Normen, die Werte und die Wortwahl der Kinder. So können Bücher ihre Weltanschauung und ihr Gedankengut nachhaltig modellieren. Diese prägende Kraft der Kinderbücher sollte deshalb eingesetzt werden, um eine klischeefreie und wertschätzende Beziehung der deutschen Kinder zu anderen Kindern aufzubauen.

Mit den authentischen Berichten und Erzählungen über seine sehr glückliche Kindheit in seinem Dorf in Guinea, zeigt Camara Laye das Leben von Kindern in Guinea in einem fröhlichen Licht. Er spricht über sein sorgloses Leben als Kind aber auch über die Vielfalt und die Wärme der afrikanischen Kultur, welche er leider verlassen musste, um wegen besserer Bildungschancen nach Frankreich zu gehen. Im Buch wird gezeigt, wie schön und beneidenswert seine Kindheit bei seinen Eltern war.

Fasziniert war er immer von seinen Schulferien im Dorf bei seiner Oma und bei seinem Onkel. Dort fühlte er sich von der Dorfgemeinschaft aufgenommen und behandelt wie ein Prinz. Wenn deutsche Kinder solche Geschichten über afrikanische Kinder zu Lesen bekämen, würden sie ihre Wahrnehmung über das Leben der Kinder dort bestimmt ändern. Afrikanische Kinder würden sie in ihrer Wahrnehmung nicht mehr automatisch mit Hunger, Armut oder Traurigkeit assoziieren. Aufgrund der glücklichen Geschichten, die sie gelesen oder gehört hätten, würden diese Kinder nicht mehr alle afrikanischen Kinder in die gleiche Schublade stecken.

Zum Schluss würde ich sagen, dass Kinderbücher aufgrund ihres Inhaltes in Bild und Wort aktuell dazu beitragen, ein negatives, rassistisch geprägtes Bild des GS bei den Kindern zu fördern. Deshalb wäre es notwendig, um ein Gleichgewicht der Narrativen über den Globalen Süden zu erzielen, immer mehr Kinderbücher von Autoren aus diesem Teil der Welt in deutscher Sprache zu übersetzen und sie überall erhältlich zu machen.  Wenn Bücher schon als Teil des Problems bezeichnet werden, so können sie auch als Teil der Lösung eingesetzt werden.

Kafalo Sékongo ist Fachpromotor für Globales Lernen mit Schwerpunkt Internationale Bildungspartnerschaften. Gleichzeitig ist er Referent im Programm Bildung trifft Entwicklung (BtE), sowie Dozent für politische Bildung an einem Bildungszentrum bei Tübingen.

Herr Sékongo ist in der Elfenbeinküste geboren und aufgewachsen. Er studierte in seiner Heimat Germanistik und war zehn Jahre lang als Deutschlehrer an einem Gymnasium in Bouaké tätig. Seit 2010 lebt er in Deutschland und absolvierte an der Uni Tübingen ein Studium im Bereich Deutsch als Zweitsprache (DaZ).


[1] Die Kongo Bongo Bahn wird in einem Bericht über Rassismus von Jana Merkel in ihrem YouTube Kanal beschrieben: Zum youtube Video

[2] Alphonse Tiérou ist ein ivorischer Wissenschaftler, Tänzer, Choreograf und Autor von vielen Büchern und Publikationen über den afrikanischen Tanz.